061 921 36 96 info@gastrobl.ch

«Verkaufen braucht Persönlichkeit» PDF

Wenn Sandra Bettoni den Raum betritt mit ihrer fröhlichen Art, bunter Kleidung, alles aufeinander abgestimmt und einen mit ihrem sympathischen Ostschweizer Dialekt begrüsst, füllt sich der Raum mit Herzlichkeit und positiver Stimmung. Und wenn Sandra dann beginnt zu erzählen, ihre Augen funkeln und sie bei jedem Satz, den sie sagt, sei er noch so heiter, mit ihrem Gegenüber mit spürt, weiss man schnell: Sandra verkörpert die Gastfreundschaft.
Sie liebt ihren Beruf, das Gastgewerbe und hat definitiv ihre Berufung gefunden. Doch Sandra wäre nicht Sandra, wenn sogar sie noch weitaus andere berufliche Träume hegte. Ob es Träume bleiben, wissen wir nicht. Doch heute nimmt uns die Chefexpertin für Restaurantberufe in den Kantonen Basel-Stadt und Baselland und Berufsschullehrerin bei den Restaurantangestellten auf ihre Reise der Freude an der Gastronomie mit. Mit funkelnden Augen blickt sie dabei auf ihre Lehrjahre im Hotel Säntis und im langjährig geführten Familienbetrieb Jägerhof in St. Gallen, verschiedene Stationen im Berner Oberland und längere Erfahrung in Berlin zurück. Sandra kommt aus einer Gastgeber- und Hotelierfamilie und ist nach 3 Jahren Gymi diesem Weg ebenfalls gefolgt. Seit 2014 unterrichtet sie an der Gewerbeschule AGS Basel und seit 2018 ist sie die Chefexpertin BS/BL für die Restaurant Berufe.

FB: Was faszinierte dich so sehr an der Gastronomie?
SB: Eigentlich wollte ich alles, nur nicht in die Gastronomie. Eigentlich wollte ich mal Jura studieren. Ich wollte nicht in die Fussstapfen meiner Eltern treten. Darum war ich auf der Suche nach mir selbst. Doch es gibt keine lebendigere, vielseitigere, kurzlebigere Branche wie die Gastronomie. Man muss sich bewegen, um etwas zu verändern. Man hat so viele intensive Begegnungen wie fast nirgends. Wahrscheinlich fasziniert mich die Wechselwirkung aus Bewegung, Begegnung und Veränderung. Wer sich in der Gastronomie nicht immer wieder verändert, gehtu nter. Und dies ist für mich auch auf der persönlichen Ebene so.

FB: Dann ist für dich persönlich die Veränderung auch wichtig?
SB: Ja sehr. Man muss sich im Leben immer wieder neu verändern. Man darf nicht stehen bleiben. Man muss offen sein. Das schlimmste, auch in der Branche, ist der Stillstand.

FB: Siehst Du einen Zusammenhang zwischen Stillstand und wie diese Krise in der Branche gemeistert wird?
SB: Ja sehr. Diejenigen die sich die letzten 30 Jahre kaum bewegten und verändert haben, konnten es auch jetzt nur schwer in der Krise. Diejenigen, die gewohnt waren, sich anzupassen und auch bereit waren, selbst die Dinge in die Hand zu nehmen, hatten plötzlich neue Konzepte geschaffen und konnten sich den Gegebenheiten einfacher anpassen.

FB: Welches Erlebnis in der Gastronomie hat dich persönlich geprägt?
SB: Mein Erlebnis in Berlin mit knapp 25 Jahren, zusammen als junge Familie mit meinem kleinen Sohn. Da habe ich erste Führungserfahrungen in einem grossen Berliner Restaurant gemacht. Einschneidend war da auch nach dem «Fall der Mauer» der Unterschied zwischen Mitarbeiter aus dem Osten und Westen. Dies so umzusetzen war prägend.

«Doch es gibt keine lebendigere, vielseitigere, kurzlebigere Branche wie die Gastronomie».

FB: Der Serviceberuf ist eigentlich sehr kreativ?
SB: Ja total!

FB: Was ist der Service noch?
SB: Im Service muss man offen und flexibel sein, man muss Neues mögen, man darf nicht stehen bleiben und vor allem muss man Menschen mögen. Es braucht Persönlichkeiten. Dies ist nichts Einfaches. Dies braucht eine authentische Persönlichkeit. Wenn man Menschen mag und dies zeigen kann, braucht es vorgängig, dass man sich selbst mag und sich klar ist, wer man ist.

FB: Was ist wichtig für die Zukunft in der Ausbildung?
SB: Man muss die Schere auftun. Man muss die Jungen mehr nehmen, wie sie sind. Ihren Persönlichkeiten Platz lassen. Klar braucht es gewisse Grundregeln, doch man muss lockerer werden. Wenn man den Jungen auch die Chance gibt, sich selbst zu sein, so können sie aufblühen.

FB: Fehlen den jungen Menschen gewisse Grundregeln des Anstandes?
SB: Zum Teil ja. Aber diese kann man sie lehren. Man kann sie sehr schnell dorthin führen. Man muss es ihnen erklären. Es braucht mehr Investition in die Persönlichkeitsentwicklung. Wir sind viel zu fest fokussiert auf das Fachliche.

FB: Was braucht jemand, der an der Front ist?
SB: Man muss Menschen mögen und offen und wertfrei sein.

FB: Wie ist es denn mit dem Dienen? Steckt das noch in uns?
SB: Nein, nicht mehr so fest. Sich zurück nehmen ist ein Thema, welches mehr thematisiert werden muss. Können würden wir es, wir sind es uns einfach nicht gewohnt.

FB: Ist der Beruf Service attraktiv?
SB: Er ist attraktiv. Und wäre noch viel attraktiver, wenn man von alten Strukturen wegkommen würde.

FB: Wäre dies eigentlich nicht eine perfekte Ausbildung oder Lebensschule für unsere Jungen?
SB: Ja definitiv! Doch wir müssen unbedingt mehr auf die Persönlichkeitsentwicklung setzen. Wir setzen noch viel zu viel auf dem Verkauf. Wenn ich eine Persönlichkeit habe und noch dazu eine passendes «Storytelling» anwende, kann ich sowieso besser und einfacher verkaufen.

FB: Gibt es noch weitere Chancen, die du siehst?
SB: Ja z.B. das Thema ADHS. Viele Jungen werden abgestempelt. Der Beruf im Service mit Gästen wäre ideal für Jungen mit viel Bewegungsdrang und Kreativität.

FB: Was unterscheidet gelernte Serviceangestellte von Nichtgelernten?
SB: Ein Gelernter kann Arbeitsabläufe so strukturieren, dass er die gleiche Dienstleistung bieten kann, ob er 30 oder 70 Gäste hat. Ein Ungelernter hat diese Routine oder Struktur nicht.

FB: Was müsste sich beim Unterricht noch verändern?
SB: Es müsste viel mehr schülerorientiert unterrichtet werden. Die Schüler sollen eine Neugier entwickeln können. Sie müssen lernen zu recherchieren. Nur so können sie Interesse und Selbstwert entwickeln. Und um sich im Leben zu bewegen, braucht es Interesse und Neugier. Dies gibt individuelle Persönlichkeiten, die sich wiederum auf die verschiedenen Gäste einlassen können. Und erst so sind sie eben wirklich gute Verkäufer.

FB: Ist Freundlichkeit lernbar
SB: Ja und nein. Ein Mensch, der weiss, wer er ist, ist meistens freundlicher. Er ist klarer in seinen Aussagen und meistens einfühlsamer und somit dienstleistungsorientierter.

FB: Was kann ein Jugendlicher, der REFA lernt?
SB: Er lernt, sich in jeder Situation ethisch korrekt zu verhalten und weiss sich in allen Lebenslagen selbst zu helfen. Er lernt eine Art Lebenskreativität. Und (lacht) kann alle Familienfeste durchführen.

FB: Noch zum Thema Chefexpertin. Was war Deine Motivation dazu
SB: Es war vor allem die Umsetzung der Revision des Berufes. Hier sah ich eine grosse Chance für eine praxisnähere und zeitgemässere Prüfung, welche verschiedenste Betriebsstrukturen berücksichtigt. Weg von einem «Learning for the Test». Ich habe in der Arbeitsgruppe der neuen Revision mitgearbeitet und da wollte ich natürlich auch bei der praktischen Umsetzung mitwirken.

«Der Beruf im Service mit Gästen wäre ideal für Jungen mit viel Bewegungsdrang und Kreativität.»

FB: Was hat dich am meisten als Chefexpertin berührt?
SB: Eine junge Dame, die mit der Prüfungssituation nicht umgehen konnte und die ich dann doch durch die Prüfung führen konnte. Vielleicht wurde ich auch für mein Handeln nicht immer verstanden. Doch sie war nach bestandener Prüfung so dankbar, weil ich sie als Person ernst genommen habe. Und das Covidjahr war extrem emotional und fordernd. Da mussten ja die Betriebe die Bewertung machen.

FB: Hast Du Angst vor dem Scheitern?
SB: Ja, ich würde lügen, wenn ich nein sagen würde. Ich möchte alles korrekt machen. Ich bin schon eher eine Perfektionistin.

FB: Was braucht es denn bei einer Veränderung?
SB: Loslassen. Loslassen von alten Mustern und Vorstellungen. Ohne Loslassen kommen wir nicht weiter. Und so beenden wir unser Gespräch.

Sandra Bettoni verkörpert eine frische und moderne Art des Serviceberufes. Wenn man ihr zuhört, weiss man eines ganz bestimmt: Sandra liebt die Herausforderung, weiss sich in jeder Lebenssituation selbst zu helfen und übernimmt für ihre Handlungen Verantwortung. Und genau dies gibt sie auch ihren Lernenden weiter, sie fordert sie im Denken. Sie fordert unseren Nachwuchs darin, sich selbst zu sein, hinzustehen, sich zu trauen, einen Fehler zu machen und auch mal selbst Lösungswege zu suchen. Sandra weiss, dass nicht alle Wege gerade verlaufen und kann so ihren Schüler:Innen empathisch entgegenwirken. Mit ihrem Selbstvertrauen steckt sie die jungen Menschen an und motiviert sie auf Ihrer Sinnsuche. Sandra ist nicht eine, die sich gerne in ein Schema setzten lässt, vielmehr möchte sie mit ihrer Persönlichkeit den Gästen Freundlichkeit vermitteln. Und dies tut Sandra in jedem Satz, denn ihr sind die Gäste, die Lernenden oder einfach ihre Mitmenschen wichtig. Und sie nimmt diese wahrscheinlich immer wichtiger als sich selbst und verkörpert auf eine vielleicht nicht immer konventionelle Art die Gastfreundschaft.

Fabienne Ballmer im Gespräch mit Sandra Bettoni